Bereits in den 20er Jahren befasste man sich mit explosiven und reaktiven Übungen. Aufmerksam wurden internationale Athleten und Trainer Ende der 60er Jahre auf den sowjetischen Sportwissenschaftler Yuri Verkhoshansky, der das „Schocktraining“ etablierte. Einige Jahre später wurde der Begriff ‚Plyometrie‘ (griech.: plyo = mehr oder länger, metrein = messen) von Fred Wilt, amerikanischer Langstreckenläufer und Trainer, geprägt. Der Trainingsansatz der Plyometrie nutzte bereits damals die Vorteile des Systems explosiver Athletikbewegungen, um die Qualität der Kraftentwicklung zu verbessern. Heute sind plyometrische Übungen in Sportarten wie z.B. der Leichtathletik, den Ballsportarten oder dem Kampfsport nicht mehr wegzudenken.

Was ist Plyometrie genau?

Beim Plyometrietraining geht es um eine maximale Kraftübertragung in kürzester Zeit zu erzielen, was durch den Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus (DVZ) geschieht. Die beteiligten Muskeln sowie vor allem auch Sehnen und Faszien mit ihren elastischen Eigenschaften spielen dabei die entscheidende Rolle. Innerhalb des DVZ wird der Muskel erst verlängert bzw. gedehnt, gefolgt von einer plötzlichen, schnellen Verkürzung des Muskels. Der Dehnreflex und die gespeicherte elastische Energie wird hierbei genutzt, um bei den Bewegungen mehr Kraft bei geringerem Energieaufwand zu entwickeln.

Im Tierreich gibt es mit dem Känguru einen Plyo-Profi. Das Bein des australischen Beuteltiers besteht fast nur aus der elastischen Achillessehne. Es erreicht hierdurch Geschwindigkeiten von bis zu 70 km/h, kann 8 Meter weit- und fast 2 Meter hochspringen. Auf die Elastizität kommt es also an.

Der Ablauf einer plyometrischen Übung besteht aus drei Phasen:

  •     exzentrische (Kraft nachgebende) Phase, in der sich Muskel verlängert bzw. dieser dehnt
  •     Amortisationsphase, in der die bis dahin erzielte Bewegungsgeschwindigkeit vollständig abgebremst wird
  •     konzentrische (Kraft überwindende) Phase, in der sich der Muskel zusammenzieht, sprich kontrahiert

Entscheidend ist die Amortisationsphase, welche in der Regel so kurz wie möglich gehalten werden soll. Je länger nämlich diese dauert, desto mehr Energie wird verloren und desto langsamer und kraftärmer ist die komplette Bewegung.

Die reinste Form plyometrischer Aktivität sind das Laufen und vor allem das Sprinten. Jeder Bodenkontakt umfasst die Dehnung und Kontraktion von Muskeln der unteren Extremitäten und der Hüften in sehr hohem Tempo über einen kurzen Zeitraum.

Als einfaches Trainingsbeispiel kann z.B. der Hock-Strecksprung (Counter Movement Jump) angeführt werden. Hier wird der Körperschwerpunkt zuerst abgesenkt (exzentrische Phase), das energiereiche „Laden“ der Beinmuskulatur und Sehnen, damit dann umso explosiver nach oben (konzentrische Phase) gesprungen werden kann. Die Amortisationsphase beschreibt hierbei die Phase nach Ende des Absenkens und kurz vor dem Beginn des Aufrichtens und folgenden Absprungs.

Angemerkt sei hier, dass ein plyometrisches Training nicht nur für die Beine zweckdienlich ist, sondern ebenso für den Oberkörper, sei es mit plyometrischem Liegestütz (vom Boden abdrücken und ggf. in Hände klatschen) oder Schockwürfen mit dem (Medizin-)ball (z.B. über Kopf oder über Seite).

Muskelfasern und Kraftformen sowie Kraftfähigkeiten

Entscheidend ist natürlich die Muskelquantität, sprich die Anzahl der Muskelfasern, und die Muskelqualität, also die Faserverteilung. An plyometrischen Übungen sind v.a. die schnell zuckenden weißen Muskelfasern (Fast Twitch oder Typ-II-Fasern) beteiligt, welche schnell kontrahieren, jedoch auch schnell ermüden. Bei intensiver und schnellkräftiger Muskelarbeit sowie in Muskeln mit hauptsächlich dynamischen Aufgaben sind die schnellzuckenden Muskelfasern stärker vertreten als die langsam zuckenden roten Muskelfasern (Slow Twitch oder Typ-I-Fasern). Durch die Aktivierung der schnell zuckenden Muskelfasern wird mit plyometrischen Übungen schnell und effizient Kraft aufgebaut. Mit den Plyo-Übungen verbessert sich auch die intramuskuläre Koordination.

Grundsätzlich verbessert ein plyometrisches Training die Sprung- und Schnellkraft eines Athleten, welche wiederum abhängig von der Maximalkraft sind. Die Plyometrie beruht eigentlich auf der Theorie des Reaktivkrafttrainings. Dabei handelt es sich um eine Form der Schnellkraft.

Um die Zusammenhänge besser nachvollziehen zu können, nachfolgende Definition der verschiedenen Kraftformen:

  • Maximalkraft ist die größtmögliche Kraft des neuromuskulären Systems, die willkürlich aktiviert werden kann.
  • Schnellkraft ist der bei einer maximalen willkürlichen Kraftanstrengung in kurzer zur Verfügung stehenden Zeit erreichte Kraftimpuls.
  • Reaktivkraft ist der bei einer maximalen willkürlichen Kraftanstrengung innerhalb eines Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus unmittelbar nach einem Bremskraftimpuls erreichte Kraftimpuls.
  • Explosivkraft ist der erreichbare Anstieg des Kraftimpuls, der bei einer maximalen willkürlichen Kraftanstrengung in kurzer zur Verfügung stehenden Zeit entfaltet wird.
  • Kraftausdauer ist die Ermüdungswiderstandsfähigkeit bei lang andauernden und/oder sich wiederholenden Belastungen.

Das Plyometrietraining verfolgt das Ziel, die Schnellkraft von aufeinanderfolgenden Bewegungen zu erhöhen. Eine Plyometrieübung ist immer auch eine explosive Übung (aber nicht umgekehrt), weshalb ebenso die Explosivkraft eine Rolle spielt. Ein Sprung ohne Absenken auf eine Box ist zwar eine explosive Übung, jedoch noch keine reine Plyo-Übung. Zu dieser wird diese erst, wenn der Körper abgesenkt wird (vgl. vorher beschriebenen Hock-Strecksprung) oder noch besser von der Box runterspringen und nach dem Bodenkontakt sofort wieder nach oben abspringen (Drop Jump). Die Bodenkontaktzeit so kurz wie möglich zu halten, dies ist der Sinn und das Ziel der Plyometrie-Schulung.

Die Maximalkraft spielt beim plyometrischen Training eine entscheidende Rolle, weil bei der konzentrischen Bewegung von einem besser trainierten Muskel deutlich mehr Kraft bzw. Leistung freigesetzt werden kann. Eine gewisse Grundkraft muss vor Aufnahme des Plyo-Trainings also vorhanden sein.

Voraussetzungen für ein Plyometrietraining

Obwohl das Plyotraining bereits eine breite funktionelle und koordinative athletische Basis voraussetzt, kann man mit diesem Training zusätzlich starke Verbesserungen erreichen, jedoch ist auch Vorsicht bei diversen Übungen und vor allem in Hinblick auf den Trainingszeitpunkt, die Trainingsintensität sowie das Trainingsvolumen geboten. Plyometrietraining ist nichts für Sportanfänger.

Allgemeine Voraussetzungen für ein plyometrisches Training (dies sind ’nur‘ Richtwerte) der Beine sind:

  • 1RM (Repetition Maximum) Kniebeuge mit 1,5-fachen Körpergewicht oder
  • 5 Wiederholungen an Kniebeugen in 5 Sekunden mit 60% des Körpergewicht

…und des Oberkörpers sind:

  • Wenn Körpergewicht < 100kg: 1RM Bankdrücken mit 1,5-fachen Körpergewicht
  • Wenn Körpergewicht > 100kg: 1RM Bankdrücken mit eigenem Körpergewicht

Plyometrieübungen sollten nach Aufwärmen und Aktivieren immer am Anfang des Hauptprogramms oder als dieses ausgeführt werden. Natürlich gilt der Grundsatz vom Leichten zum Schweren sowie vom Einfachen zum Komplexen. Je nach Trainingszustand können 2 bis 3 Plyo-Trainingseinheiten pro Woche durchgeführt werden. Zuerst mit geringen Intensitäten starten und im Laufe der Zeit schrittweise steigern. Die folgenden Faktoren können die Intensität beeinflussen:

  • Kontaktpunkt: Größere Kraftwirkung bei unilateraler (einbeiniger) Übung als bei bilateraler (beidbeiniger) Übung.
  • Geschwindigkeit: Eine erhöhte Geschwindigkeit hat eine erhöhte Intensität zur Folge.
  • Übungshöhe: Je höher der Mittelpunkt des Körpers im Ausgangszustand bzw. im Übungsverlauf, desto größer die wirkende Kraft bei der Landung.
  • Körpergewicht: Je höher das Gewicht des Athleten, desto größere Kräfte wirken auf den Muskel-Sehnen-Apparat des Athleten.

Genauso sollte man bei erhöhter Intensität das Volumen ggf. nach unten reduzieren. Das Trainingsvolumen wird je nach zu trainierendem Körperbereich definiert:

  • Beine: Anzahl der Bodenkontakte
  • Oberkörper: Anzahl der Bodenkontakte oder Würfe oder Fänge

Für die Anzahl der Sprünge/Würfe/Wiederholungen werden basierend auf dem aktuellen Trainingsstand folgende Zahlen festgehalten:

  • Anfänger: 80-100 Wiederholungen
  • Fortgeschrittener: 100-120 Wiederholungen
  • Profi: 120-150 Wiederholungen

Zwischen der Übung bzw. den Wiederholungen sollten in der Regel 5 bis 10 Sekunden liegen, zwischen den Sätzen 2 bis 3 Minuten. Zuletzt sei erwähnt, dass bei den Übungsprogrammen immer Qualität vor Quantität gilt.

Diverse Plyo-Übungen finden sich innerhalb der Quellenangaben am Ende des Beitrags.

Vorteile und Nachteile des Plyometrietrainings

Vorteile des plyometrischen Trainings:

  • Verbesserung der Maximalkraft
  • Verbesserung der Kontraktionsgeschwindigkeit (Schnellkraft)
  • Verbesserung des Reaktionsvermögens (Reaktivkraft)
  • Verbesserung der Explosivität (Explosivkraft)
  • Erhöhen der Aktivierung mehrerer Muskelfasern (bessere Rekrutierung)
  • Verbesserung der intramuskulären Koordination
  • Verbesserung der Flexibilität und Koordination
  • Verletzungsprävention, v.a. hinsichtlich Sehnen und Bänder

Nachteile des plyometrischen Trainings:

  • Hohe psycho-physische Belastung (Konzentration und technisch korrektes Ausführen wichtig)
  • Hohes Verletzungsrisiko bei fehlendem Aufwärmen oder starker Ermüdung
  • Intensive plyometrische Trainingsformen für Kinder und Anfänger nicht geeignet

Aufgrund der Vorteile des Plyo-Trainings und der Verbesserung der Kraftformen sowie weiterer motorischer Sportfähigkeiten kann man in der Folge beispielsweise schneller sprinten, höher/weiter springen, weiter/stärker werfen oder auch stärker und schneller zuschlagen/-treten. Wie bereits erwähnt ist eine optimale technische Durchführung entscheidend, um das Verletzungsrisiko zu minimieren. Eine stabile Kraftbasis ist notwendig und absolute Voraussetzung, um typische plyometrische Übungen korrekt auszuführen.

Bleib schmerzfrei, mobil und BEWECT 🙂

BEWECTe Grüße
Dein Benjamin

Quellen
Derek Hansen, Steve Kennelly: Plyometrie Anatomie – Der vollständig illustrierte Ratgeber für die Entwicklung explosiver Kraft, Copress Sport, 2018
https://www.online-fitness-coaching.com/plyometrisches-training/
http://www.functional-training-magazin.de/plyometrie-ein-leitfaden-fuer-ein-oft-missverstandenes-trainingskonzept/
http://www.trainer-magazine.com/plyometrisches-training-5-uebungen/
http://www.biowiss-sport.de/forschungsprojekte-arbeiten/explosivkraft-des-muskels/