Geht es um korrekte Bewegung, deren Prinzipien du im Blog-Beitrag Prinzipien korrekter Körperhaltung kennenlernen konntest, denken wir meist zuerst an den Bewegungsapparat. Doch es geht nicht nur um Muskeln, Sehnen, Knochen, Herz und Blutkreislauf, sondern ebenso um das zentrale Nervensystem (ZNS) mit Gehirn und Rückenmark. Im Gehirn sind Bewegungsmuster abgespeichert, welche sogar durch bloße Vorstellung aktiviert werden können. Bewegung und Neurophysiologie gehören fest zusammen.

Wenn du dir einen Fahrer eines Autos vorstellst, bekommst du ungefähr einen Einblick, wie das Ganze funktioniert. Auch die bekannte Redewendung „Mens sana in corpore sano.“ („Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper.“) erhält hiermit eine besondere Bedeutung. Einerseits ist dein ZNS als Steuerungssystem aktiv, andererseits dein Körper als ausführendes Objekt.

Bewegung und Gehirn

Dein Nervensystem wird in ein zentrales und in ein peripheres Nervensystem (PNS) unterteilt. Das ZNS besteht hauptsächlich aus dem Gehirn und das PNS aus den Hirnnerven und den Spinalnerven, die die Muskeln innervieren, sowie dem enterischen Nervensystem (Darmnervensystem). Das PNS unterteilt sich nochmals in ein somatisches Nervensystem und das vegetative Nervensystem (VNS). Letzteres teilt sich in Sympathikus und Parasympathikus auf.

Das ZNS besteht aus Gehirn und Rückenmark. Es arbeitet nach dem Reiz-Reaktion-Prinzip, sprich es verarbeitet Informationen. Reize, die von außen (Umwelt) oder von innen (Körper) im ZNS ankommen, werden als Daten gesammelt, verarbeitet und interpretiert. Dies liefert in der Folge einen Output, z.B. Bewegung.

Die Reize gelangen über die Sinnesorgane und spezielle Wahrnehmungssensoren ins ZNS. Deine typischen Sinne reichen vom Hören über Riechen und Schmecken zu Sehen und Tasten. Die moderne Physiologie spricht beim Menschen auch noch von weiteren Sinnen: Temperatursinn, Vestibulärer Sinn (Gleichgewichtssinn), Schmerzempfindung und Körperempfindung (Propriozeption).

Die jeweiligen Sensoren liegen z.B. beim Tasten oder dem Körperempfinden als Tast- und Druckfühler in der Haut. Sogenannte Mechano- und Propriorezeptoren befinden sich in den Schichten der Haut, vor allem in Bindegewebe und Kapseln rund um die Gelenke, jedoch ebenso in Muskeln. Von dort wird das Signal über afferente Nervenbahnen zum ZNS transportiert. Die Mechanorezeptoren werden noch weiter je nach Reiz in entsprechende Rezeptoren unterteilt (Francis McGlone, Wessberg, & Olausson, 2014).

Die Verarbeitung der Reize geschieht aufgrund von individuellen Erfahrungen und physiologischen Gegebenheiten subjektiv. Jeder kreiert im Gehirn seine eigene Wahrnehmung der Realität. Schmerzen werden so z.B. verschieden intensiv wahrgenommen oder auch der Geschmack von Süßem oder Saurem.

Ebenso geschehen Interpretationen hinsichtlich der Bewegung, abhängig von der Qualität der Reizverarbeitung und der Auffassung unseres Gehirns. Je besser du deine Wahrnehmungssensoren einsetzt, desto besser können diese Reize wahrgenommen und im Gehirn verarbeitet werden.

Anhand der Reizverarbeitung erstellt das Gehirn motorische Befehle, welche über efferente Nervenbahnen vom ZNS zu entsprechenden Körperregionen wie z.B. Händen verlaufen. Ein einfaches Beispiel könnte eine Fliege auf deiner Hand sein, welche du abschüttelst. Viele von deinen Körperprozessen laufen unbewusst ab, so z.B. Organfunktionen, Blutdruck und Verdauung.

Dabei kann es sein, dass dieser Prozess gestört ist und sich auf Haltung und Bewegung auswirkt. Neben der Art des Reizeingangs ist auch die Verarbeitungsqualität der Reize entscheidend. Wird der Reiz korrekt und angemessen interpretiert, kannst du optimal reagieren, sprich eine korrekte Haltung einnehmen oder dich entsprechend bewegen.

Sympathikus und Parasympathikus als Gegenspieler

Das somatische Nervensystem ist für die Informationsaufnahme, -weiterleitung und -abgabe über afferente und efferente Bahnen verantwortlich. Damit steuert es die willkürliche und reflektorische Motorik, sprich eine Bewegung entsteht. Das VNS ist für unbewusste Vorgänge wie Herzschlag und Verdauung, auch Atmung zuständig. Dies wird über zwei Gegenspieler gesteuert: Sympathikus und Parasympathikus.

Der Ausgang des Sympathikus ist in der grauen Substanz des Rückenmarks im Bereich von Brust und Lende. Seine Aufgabe ist es, den Körper zu mobilisieren, Energie freizusetzen und den Stoffwechsel anzuregen. Durch ihn wird der Körper in eine Art Alarmzustand versetzt, was in einen Angriff, eine Flucht oder Abwehr mündet.

Der Parasympathikus entspringt in verschiedenen Bereichen des Hirnstamms und im sakralen Rückenmark (Kreuzmark). Seine Aufgabe besteht darin, für Ruhe, Entspannung und Regeneration im Körper zu sorgen. Herz- und Kreislaufsystem werden reduziert, die Verdauungsorgane dagegen aktiviert. Durch ein effizientes Zusammenspiel von Sympathikus und Parasympathikus kann sich der menschliche Organismus an sich ständig verändernde Umweltbedingungen optimal anpassen.

Der größte Nerv des Parasympathikus ist der Nervus Vagus, zehnter Hirnnerv, der an der Regulation der Tätigkeit fast aller inneren Organe beteiligt ist. Dieser Nerv entspringt ungefähr zwischen Schädel und Hals, er zieht von hier Richtung Brusthöhle und weiter in den Bauchraum. Mit Hilfe der Herzfrequenzvariabilitätsanalyse ist es möglich, die Aktivität des Vagusnerv sichtbar zu machen.

Deinen Vagusnerv kannst du durch verschiedene Vorgehensweisen stimulieren: Nacken massieren, Kiefer mobilisieren, Wechseldusche, Eisbad fürs Gesicht, Probiotika einnehmen, Meditation, Atemübung.

Eigenwahrnehmung und Tiefensensibilität

Bei der Bewegung sind die bereits angesprochenen Propriozeptoren wichtig. Diese sitzen an den Enden von Nerven in Haut und Gelenken. Die Propriozeption (von lateinisch proprius ‚eigen‘ und recipere ‚aufnehmen‘) bezeichnet die Wahrnehmung des eigenen Körpers nach dessen Lage im Raum, den Stellungen von Kopf, Rumpf und Extremitäten zueinander sowie deren Veränderungen als Bewegungen. Auch als Tiefensensibilität beschrieben.

Diese innere Wahrnehmung lässt sich schulen. Und dies ist gerade für inaktive Zeiten wichtig. Verschiedene Mobilitätsübungen, englisch Mobility Drills genannt (Meinart, 2018), schaffen eine positive Antwort im Gehirn, stärken die Leistung sowie Beweglichkeit und Bewegungsqualität.

Das Gehirn als Datenverarbeitungszentrale ist jederzeit lernfähig, egal ob in jungen oder älteren Jahren. Das stetige Verändern des Gehirns und die Bildung von Verknüpfungen der Nervenzellen führen sogar zu neuen Gehirnzellen. Diese Veränderung nennt man Neuroplastizität. Das gilt auch für Bewegungen, diese werden als Muster im Gehirn abgespeichert.

Aber auch in hohem Alter bist du noch zu enormen Leistungen fähig. Noch faszinierender ist die Regenerationsfähigkeit des Gehirns. Defekte oder nach Tumor entfernte Gehirnregionen werden durch andere Gehirnregionen übernommen, so dass sich verloren geglaubte Muster erneut aufbauen. Das macht z.B. das Sprechen nach einem Schlaganfall wieder möglich oder das Gehen nach einer Querschnittslähmung.

Durch Bewegungsreize werden neuronale Verbindungen zwischen den Gehirnzellen und Muster gebildet, eine Landkarte der Bewegung entsteht. Wiederholst du die Bewegung, verstärkt sich das Muster. Wird das Erlernte nicht wiederholt, löscht das Gehirn aufgebaute Verknüpfungen wieder. Frei nach dem Motto „Use it or lose it“. Vielfältige Bewegungen und ständiges Üben festigt die Plastizität des Gehirns, du wirst effizienter und sicherer.

Im Gehirn gibt es übergreifende Bereiche, die für die Ausführung der Bewegungen verantwortlich sind. Die entsprechenden Areale ergeben sich zu einer Bewegungsvorlage. Die abgespeicherten Vorlagen kann man sich wie Landkarten vorstellen. Je mehr Sensoren in deinem Körperteil und je ausgeprägter deine Koordination und die Sensibilität, desto mehr Raum nimmt diese Landkarte ein. Der Begriff, der sich international für diese neuronalen Landkarten im Gehirn etabliert hat, ist „Body Maps“.

Bevor sich diese Landkarten im Gehirn bilden, werden Bewegungen erlernt. Dies geschieht intuitiv und bereits vor der Geburt: Ein sehr komplexer Prozess nach dem „Try-and-Error“-Prinzip. Das Lernen vollzieht sich in verschiedenen Stufen. Hier sind drei Grundvorgänge entscheidend: Spezialisierung des Gehirns, Regulation der Wahrnehmung hinsichtlich Empfindlichkeit und Intensität, Sensorische Verarbeitung (Meinart, 2018).

Spezielle Mobilitätsübungen folgen wiederum dem Ansatz: Software vor Hardware. Sprich diese wirken sich zuerst auf die Landkarten im Gehirn aus, danach erst passen sich Muskeln, Sehnen und Bänder an.

Schmerzen verstehen

Laut Definition ist Schmerz eine komplexe Sinneswahrnehmung unterschiedlicher Qualität, die in der Regel durch Störung des Wohlbefindens gekennzeichnet ist und in ihrer chronischen Form ein eigenständiges Krankheitsbild darstellt. Darüber hinaus ist es eine subjektive Empfindung und zugleich ein Gefühl, welches durch die psychische Wahrnehmung realer, aber auch vorgestellter (irrealer) Schmerzen entsteht (Kolster, 2010).

Schmerz ist ein sehr komplexes Phänomen, was durch die Mediziner längst noch nicht komplett aufgeklärt ist. Eins weiß man jedenfalls sicher: Schmerz entsteht im Gehirn, er beruht auf Funktionen des Nervensystems, welches Impulse an das Gehirn weiterleitet. Schmerz ist ein Warnsignal. Schmerz ist auch multifaktoriell, womit sich das Schmerzempfinden immer subjektiv darstellt.

Schmerz ist einer der Wege des Körpers, um mitzuteilen, dass seine Biomechanik missachtet und beschädigt wird.

Es gibt zwei Arten von Schmerzen zu unterscheiden: Akuter Schmerz und Chronischer Schmerz. Bei akutem Schmerz reagieren verschiedene Schmerzrezeptoren in der Haut und im Bindegewebe sofort, die sogenannten Nozizeptoren. Nach dem Reiz-Reaktion-Prinzip werden gleich mehrere Hirnregionen alarmiert. Ein Bereich der Großhirnrinde ist aktiv, wo u.a. automatisierte Bewegungen abgespeichert sind. Schmerz führt also zu Bewegung. Bekanntestes Beispiel ist wohl die heiße Herdplatte.

Chronischer Schmerz ist im Vergleich zum akuten Schmerz noch mehr vom Gehirn und dem gesamten Nervensystem bestimmt. Man spricht von chronisch, wenn der Schmerz länger als drei Monate andauert. Die Ausprägungen und der Grad sind vielfältig. Beispiele für chronische Schmerzen können Kopfschmerzen oder Rückenschmerzen darstellen. Auch aus Dauerbelastung, Stress oder falscher Körperhaltung können chronische Schmerzen entstehen.

Mit der Zeit kann sich ebenso deine Schmerzwahrnehmung in den entsprechenden Hirnarealen verändern. In vielen Fällen wird das Gehirn überempfindlich und reagiert dann bereits auf kleinste Reize. Es kann dazu kommen, dass falsche Signale entstehen und Alarm ausgelöst wird, obwohl keiner besteht. Ärzte bezeichnen das Entstehen des chronischen Schmerzes im Nervensystem auch als Schmerzspuren und Schmerzgedächtnis.

Das Gehirn speichert den Zustand und merkt sich, was ihn ausgelöst hat. Bei ähnlichen Auslösern wird dies aus dem Archiv abgerufen – als Schmerz. Manchmal reichen kleinste Auslöser und der nächste Schmerzschub erfasst den Patienten (Butler & Moseley, 2016). Leider werden oftmals weitere Spuren im Gehirn hinterlassen, welche jeder Schmerzpatient natürlich gerne ausradieren möchte. Stattdessen verkleinert sich der Bereich im Gehirn, der beruhigende Stoffe ausschüttet.

In den letzten Jahren hat sich aufgrund der Sachverhalte Schmerzspuren und -gedächtnis auch die Meinung zu zwei Punkten etwas geändert. Schmerzmittel werden behutsam eingesetzt, um zu verhindern, dass sich der Schmerz nicht einprägt.

Daneben wird das Thema Schonung bei Schmerzen und Verletzungen nunmehr differenziert gesehen. Sobald es möglich ist, steht Bewegung an erster Stelle, besser als Passivität und Warten auf Heilung. Dabei ist es entscheidend, die schmerzende Stelle und auch darum herum zu mobilisieren und jeweils individuell passende positive Bewegungen zu finden.

Konzepte für richtige Behandlungen

Nach der einfachen Methode „Reiz-Reaktion“ kann der Schmerz lokalisiert werden. Meist gibt es für bestimmte Schmerzen keine konkrete, einzelne Ursache, pauschal lässt sich dies schon gar nicht sagen. Strukturelle Mängel wie z.B. Beckenschiefstand oder Abweichungen bei Gelenken können für die Schmerzen verantwortlich sein, müssen es aber nicht.

Der Neurophysiologie wird deshalb eine große Rolle beigemessen. Bewegungen im biologischen System des Menschen funktionieren nicht nur nach den Gesetzen der klassischen Mechanik, sondern vor allem auf Basis der Neurophysiologie. Zentrales Thema der Neurophysiologie ist dabei das Steuern durch das Zentralnervensystem. Mit dem Ansatz der Gelenkmodulation erhältst du ein modernes Konzept zum Beheben von Bewegungseinschränkungen und Schmerzen.

Diese Gelenkmodulation funktioniert über neuronale Schaltkreise, die nur vom Rückenmark aus erfolgen. Sie koppeln bestimmte Gelenke und Bewegungen miteinander, so dass sie beim rhythmischen Laufen oder Gehen automatisch zusammenarbeiten. Man geht davon aus, dass bestimmte Gelenke und Bewegungen andere Gelenke innerhalb eines Schaltkreises beeinflussen.

Nach diesem Modell übt z.B. das Handgelenk Einfluss auf das Sprunggelenk aus und die Flexion verbessert die Streckung, sprich nach Beugung und Mobilisieren des Handgelenks kann es zu einer Verbesserung der Streckung des Sprunggelenks kommen. Weitere Gelenkbeispiele sind Schulter und Hüfte sowie Iliosakralgelenk und Halswirbelsäule.

Richtlinien für Training bei Schmerzen und nach Verletzungen

Der Weg aus dem Schmerz ist immer individuell. Ein festgeschriebenes Verfahren gibt es nicht, jedoch lassen sich einige Schritte auf dem Weg zur Schmerzfreiheit und zu gesunder Leistungsfähigkeit zusammenfassen. In diesem Zuge kann es sehr hilfreich für dich sein, mit einem erfahrenen Trainer oder Sporttherapeuten zusammenzuarbeiten.

  • Mobilität: Schmerzen minimieren und in Bewegung kommen
    Das Motto sollte sein: Qualität vor Quantität.
  • Stabilität: Rumpf stabilisieren und schmerzhafte Bewegungen vermeiden
    Das Motto sollte sein: Training im schmerzfreien Bereich.
  • Konditionelle Fähigkeiten: Leichte Belastung und langsam steigern
    Das Motto sollte sein: Qualität vor Quantität. Sowie Training im schmerzfreien Bereich.
  • Nachhaltige Schmerzfreiheit: Kraft aufbauen und alte Verletzungen beachten
    Das Motto sollte sein: Ganzheitlich denken. Sowie auf Experten zurückgreifen.
  • Gesunde Leistungsfähigkeit: Schmerzfrei trainieren und Variation einbauen
    Das Motto sollte sein: Komfortzone verlassen und Entwicklungsbereich betreten. Sowie neue Reize durch Variation.

Richtlinien bei verbreiteten Schwierigkeiten

Wie erwähnt gibt es keine Patentrezepte, jedoch zeigen sich einige Verletzungen gehäuft und immer wieder. Mit verschiedenen Mobilisationsübungen und Tests kannst du dich an eine Lösung herantasten. Dabei gilt es vorsichtig vorzugehen und jederzeit im schmerzfreien Bereich zu bleiben. Nachfolgend einige Tipps und unverbindliche Vorschläge.

  • Handgelenk: Spannungsgefühlen, einer Sehnenscheidenentzündung oder dem Karpaltunnelsyndrom mit Mobilisierungen, Faszienrollen des Unterarms und der Hände sowie sanften Dehnungen gegensteuern
  • Nacken: Unentwegtem Sitzen und auf das Smartphone schauen mit langsam ausgeführten Mobilisierungsübungen in jede Richtung entgegenwirken
  • Schulter: Motorische Ansteuerung der Muskeln und die Beweglichkeit des Schultergelenks mit Mobilisation der Brustwirbelsäule verbessern
  • Rücken/Lendenwirbelsäule: Oftmals für Schmerzen verantwortliches Iliosakralgelenk mit Mobilisations- und Traktionsübungen Spannung auf die Bänder verringern und Blockaden lösen
  • Hüfte: Immerwährenden unphysiologischen Bewegungen mit Dehnung und Mobilisation der Hüftkapsel entgegenwirken
  • Knie: Oftmals für Schmerzen verantwortliche eingeschränkte Mobilität der Hüfte und der Füße mit Mobilisierungen verbessern
  • Sprunggelenk: Fußfehlstellungen/-schwächen mit Anregung unserer Fußmuskeln und Mobilisierungen, auch mit Faszientraining für Fußsohle, verringern

Weiterführende und detaillierte Informationen kannst du bei (Klingenberg, 2019) und (Meinart, 2018) nachlesen. In einem weiteren zukünftigen Blog-Beitrag mit Übungen und Bewegungsprogrammen erhältst du ebenso einen Überblick über zielführende Übungen.

Atmung ist nicht selbstverständlich

Du kannst tagelang ohne Essen auskommen, einige Tage ohne Wasser, jedoch nur wenige Minuten ohne Atemluft und Sauerstoff. Atmen ist überlebenswichtig. Über den Atem kannst du die Muskelspannung regulieren, weil er sich auf das vegetative Nervensystem (VNS) auswirkt.

Das VNS, mit den beiden bereits kennengelernten Gegenspieler Sympathikus und Parasympathikus, kann nicht direkt und willentlich gesteuert werden, es lässt sich jedoch indirekt beeinflussen, z.B. durch autogenes Training, Meditation oder Atmung. Viele Menschen leiden unter Stress und Daueranspannung, sprich der Sympathikus ist meist aktiviert, was zu Verspannungen oder sogar Schmerzen führen kann.

Der Parasympathikus ist folglich vermehrt anzusprechen. Teile der parasympathischen Steuerung liegen in der Steißbeingegend und im Bereich der Halswirbelsäule. Führst du Übungen für die Halswirbelsäule und das Iliosakralgelenk aus, kann dies beruhigend und entspannend wirken. Zusätzlich verstärken langsame Ausführung und langsames Atmen diesen Effekt.

Bei der Atmung werden sowohl Brust- und Bauchbereich mobilisiert und aktiviert, vorausgesetzt deine Atmung ist gleichmäßig und kontrolliert. Der wichtigste Atemmuskel ist das Zwerchfell oder Diaphragma, was eine entscheidende Rolle spielt.

Mit dem Body Oxygen Level Test, kurz BOLT-Test, kannst du deine Atmung überprüfen. Ein positives Ergebnis spricht für gute Gesundheit. Ein negatives Ergebnis ist ggf. mit Krankheit (z.B. Lunge, Herz, Diabetes, Übergewicht), Befindlichkeitsstörungen (Stress, Schlafstörung, Allergien) oder schlicht und einfach mit einer ungünstigen bis falschen Atemtechnik assoziiert.

Die Yogis im Himalaya praktizieren seit Jahrtausenden eine kontrollierte Atempause, sie atmen ruhig ein und aus. Am Ende der Ausatmung legen sie eine Atempause ein. Der Sauerstoffgehalt im Blut sinkt ab, die Kohlendioxid-Konzentration steigt an, bis der Reflex zur Einatmung einsetzt. Genau dies ist der Hintergrund beim BOLT-Test, bei dem ein Wert von über 40 Sekunden optimal ist.

Die Zwerchfellatmung ist die Atemtechnik, welche du im Ruhezustand und während deiner alltäglichen Tätigkeiten anwenden solltest. Dies sichert den Zugang zum parasympathischen Nervensystem und hilft den Stresspegel abzusenken und zu entspannen.

Neuroathletik als neue Trainingsart

Neuronale Prinzipien und Prozesse, die deine Leistung beeinflussen, sind die Basispfeiler der Neuroathletik und werden genutzt. Spätestens hier kommt Bewegung und Neurophysiologie zusammen. Das Gehirn und das Nervensystem sind die im Hintergrund agierenden Körpersysteme, die unsere körperliche und somit sportliche Leistung entscheidend bestimmen. Schaffst du es, die Kommunikation zwischen Gehirn und Körper zu optimieren, kannst du zu gesteigerter und gesunder Leistungsfähigkeit gelangen.

Für eine Steigerung deiner Leistung musst du vor allem drei Systeme optimal aufeinander abstimmen: Visuelles System (Sehen), Vestibuläres System (Gleichgewicht), Propriozeptives System (Eigenwahrnehmung). Das Gehirn strebt nach Sicherheit, so dass alle Informationen aus den drei Systemen daraufhin gescannt werden. Je stärker diese Sicherheit vom Gehirn gewährleistet werden kann, desto optimaler und effizienter kannst du eine Bewegung ausführen.

Die Gehirnhälften entwerfen und initiieren zum einen die willkürliche Bewegung auf der gegenüberliegenden Körperhälfte und stabilisieren zum anderen die gleichseitige Körperhälfte. Wegen der Sicherheit ist die Stabilisierung wichtiger, ein reflexiver Prozess. Die Kommunikation zwischen Gehirn und Körper stellt sich ungefähr zu 90 Prozent für die gleichseitige Stabilisation und nur zu 10 Prozent für die gegenüberliegende Bewegung dar (Lienhard, 2019).

Ein wichtiger Grundsatz beim neurozentrierten Training (Neuroathletik) besagt, dass du jederzeit auf deinen Körper hören sollst. Deine Leistungsfähigkeit ist oftmals aufgrund von alten Verletzungen, Beeinträchtigungen des Gehirns oder nicht genutzten Hirnarealen eingeschränkt, d.h. mit Bedacht und für dich adäquaten Progressionen trainieren.

Informationsvorsprung durch Neuroassessments

Es gibt Neuroassessments, mit denen du überprüfen kannst, ob eine ausgeführte Übung einen positiven Effekt hat. Drei Basis-Assessments für Beweglichkeit sind folgende: Rumpfbeuge, Ganzkörperrotation und Innen-/Außenrotation der Schulter. Neben diesen Basis-Assessments gibt es viele weitere Assessments, u.a. für Kraft und Koordination.

Für die Assessments ist es nötig, immer die jeweils gleichen Ausgangsbedingungen zu schaffen und die jeweils identische Bewegung auszuführen, um gewissen Testgütekriterien wie Objektivität, Zuverlässigkeit und Validität zu genügen. Die Assessments beginnen meist im neutralen Stand, da dies verlässliche und bessere Ergebnisse liefert.

Zum Überprüfen, ob eine Übung für dich eher leistungsfördernd ist oder nicht, gehst du wie folgt vor: Assessment ausführen, z.B. Rumpfbeuge, danach deine zu überprüfende Übung. Verbessert sich das Assessment, hier die Rumpfbeuge, nach Ausführen deiner Übung, zeigt die Übung einen positiven Effekt. Auch als biopositiv bezeichnet.

Ein wichtiger Punkt ist das Bewusstsein über die Momentaufnahme der Assessments. Wie Gehirn und Nervensystem reagieren, hängt von vielen Faktoren ab und ist situationsbedingt sowie variabel. Deshalb gilt es, unser Training wie unsere Übungen regelmäßig zu überprüfen. Optimales Training bedeutet auch immer zu wissen, wie dein Gehirn an diesem Tag auf das Training reagiert.

Gehirn strebt nach reflexiver Stabilität

Um eine optimale Bewegung auszuführen, musst du die drei zuvor genannten Systeme mit entsprechenden Trainingsansätzen aufeinander abstimmen. Eine Bewegung besteht zum einen aus der willkürlichen Bewegungsaktion und der unbewusst ablaufenden reflexiven Stabilisierung des Körpers, welche für das Ermöglichen der willkürlichen Bewegung nötig ist. Die reflexive Stabilität ist dabei immer das primäre Ziel des Gehirns und Nervensystems, um Sicherheit zu erlangen.

Die willkürliche Bewegung kannst du durch die Funktionalität und Aktivität des Kleinhirns (Cerebellum) verbessern, da das Kleinhirn für die Integration, Koordination und Korrektur genau dieser Bewegung zuständig ist. Der größte Teil der Informationen, die aus dem Kleinhirn in den Kortex (Großhirnrinde) gesendet werden, wird zum kontralateralen Frontallappen weitergegeben. Hierüber wird das Stammhirn aktiviert, was den größten Anteil der reflexiven Stabilität verantwortet.

Um die reflexive Stabilität zu verbessern, greifen wir optimalerweise auf Übungen für das Gleichgewichtssystem zu. Das rechte Gleichgewichtssystem stabilisiert die rechte Körperhälfte, das linke System ebenso ipsilateral. Der Hauptgarant für eine gute reflexive Stabilität ist insbesondere ein ideal aktives Stammhirn, welches von der Formatio reticularis durchzogen ist, ein ausgedehntes, diffuses Neuronennetzwerk.

Dabei ist wichtig zu erwähnen, dass eine Verbesserung der reflexiven Steuerung erst funktioniert, wenn die drei bewegungssteuernden Systeme beherrscht werden und aufeinander abgestimmt wurden. Einschränkungen in einem der Systeme können signifikant negative Folgen für die reflexive Stabilität haben.

Wichtige Nervenbahnen, welche die Kopf- und Nackenstabilität sicherstellen, beginnen im Dach des Mittelhirns. Hirnareale und Strukturen, die nah beieinanderliegen, beeinflussen sich gegenseitig, sprich eine Aktivierung eines Areals bedingt auch eine Aktivierung der angrenzenden Bereiche. Dies stellt ein Grundgesetz der Neurowissenschaften dar.

Hier liegen auch Hirnnerven, die die Augenbewegungen steuern. Daher kann das Mittelhirn besonders einfach über ein Training der peripheren Wahrnehmung aktiviert werden. Visuelle Reize liefern die meisten Informationen, die für eine Verbesserung hervorragend genutzt werden können.

Eine simple Übung wie du die beschriebenen Sachverhalte praktisch erleben kannst, stellt der Ausfallschritt mit geradem Blick nach vorne oder mit Blick nach oben dar:

  • Stabiler Stand bei Blick nach vorne (ca. fünf bis acht Meter auf Boden)
  • Instabilerer Stand bei Blick nach oben an Decke oder im Freien in Himmel

Das visuelle System schlägt aus. Im Büro solltest du dich öfter mal vom „kurzsichtigen“ Blick abwenden, sprich in die Ferne blicken, nicht nur um die Augen zu entspannen. Eine wunderbare Übung ist auch folgende: Mit der Hand einen Stift ungefähr 40 bis 50 Zentimeter vor dem Gesicht halten und nach links und rechts (auch oben und unten) bewegen. Nur die Augen folgen dem Stift, ohne dass sich dein Kopf bewegt.

Bleib schmerzfrei, mobil und BEWECT 🙂
…mit Bewegung und Neurophysiologie.

BEWECTe Grüße
Dein Benjamin

Quellen
Butler, D., & Moseley, L. (2016). Schmerzen verstehen. Berlin: Springer.
Francis McGlone, F., Wessberg, J., & Olausson, H. (May 2014). Discriminative and Affective Touch: Sensing and Feeling. Neuron Perspective, S. 82(4): 737-755.
Klingenberg, M. (2019). Return-to-Sport. München: Pflaum Verlag.
Kolster, B. (2010). Massage. Berlin: Springer.
Lienhard, L. (2019). Training beginnt im Gehirn. München: riva Verlag.
Meinart, P. (2018). Mobility – Das große Handbuch. München: riva Verlag.