Unsere Muskulatur – das Idealbild von Kraft und Stärke. An Letzterem ist jedoch maßgeblich auch das Fasziengewebe beteiligt, was bis vor einigen Jahren noch wenig Beachtung fand. Nach den Forschungen der letzten Jahre weiß man, dass diese Faszien vier wesentliche Aufgaben übernehmen: Formen, Bewegen, Kommunizieren und Versorgen. Myofasziales Training 2.0 für Mobilität und Schmerzfreiheit setzt genau hier an.

Das Fasziennetzwerk

Unsere Faszien sind das Bindegewebe, was die einzelnen Muskeln, Muskelgruppen oder auch ganze Körperabschnitte umgibt. Dieses Gewebe, welches aus Wasser, Kollagen und Zucker-Eiweiß-Verbindungen besteht, passt sich durch die körpereigenen Bindegewebszellen, den Fibroblasten, in ihrer Struktur kontinuierlich den täglichen Anforderungen an, insbesondere in Bezug auf Länge, Stärke und Gleitfähigkeit. Daneben sind Faszien voll mit neuronalen Sensoren, sprich feinen Nervenrezeptoren, welche verschiedene Sinneswahrnehmungen erfassen und an das Gehirn weiterleiten.

Durch das Fasziennetzwerk werden bei einzelnen Bewegungen Kräfte und Impulse weit über die primär aktivierte Muskulatur übertragen, so dass im Körper bisher vier Zuglinien identifiziert wurden:

  • Oberflächliche Frontallinie von Spann über Beinvorderseite, Bauch, Brust und Hals bis zum Hinterhaupt
  • Oberflächliche Rückenlinie von Plantarfaszie über Achillessehne, hintere Beinkette, Rücken und Nacken bis über den Schädel zur Stirn
  • Laterallinie(n) von Fußaußenseite über Oberschenkelaußenseite, seitlicher Rumpf, Rippen und Hals bis Hinterhaupt
  • Spirallinie(n) winden sich ausgehend vom Hinterhaupt jeweils einmal um Oberkörper sowie um beide Beine bis in den Lendenbereich/Rücken zurück

Daneben werden in der Literatur je nach Autor noch weitere Zuglinien angegeben, wie z.B. die vordere und hintere Armlinie sowie die tiefe Frontallinie, welche innerhalb einer Bewegung zusammenwirken bzw. diese erst möglich machen.

Den Faszien fallen ebenso wichtige Aufgaben und Grundfunktionen zu:

  • Formen: umhüllen, polstern, schützen, stützen, Struktur geben
  • Bewegen: Kraft übertragen und speichern, Spannung halten, dehnen
  • Kommunizieren: Reize und Informationen empfangen und weiterleiten
  • Versorgen: Stoffwechsel, Flüssigkeitstransport, Nahrung

Schmerzfrei und leistungsfähig durch myofasziales Training

Analog zu unseren Muskeln lassen sich Faszien über einen zeitlich richtig gesetzten Reiz stärken, genauso aber auch bei Bewegungsmangel oder bei Überforderung schwächen. Da die Faszien nach neuesten Erkenntnissen als Sinnesorgan wahrgenommen werden, meldet sich eine schwache Faszie durch Schmerz. Oftmals steckt eine Verhärtung oder eine Verklebung in den Faszien oder eine zu hohe Zugspannung der Faszien dahinter und nicht wie über Jahre vermutet eine degenerierte Bandscheibe oder ein blockierter Wirbel.

Durch die vorher geschilderten Zuglinien ist es verständlich, dass sich sogenannte Schmerzketten bilden und sich z.B. ein Hüftproblem am Rücken bemerkbar macht. Gezieltes Training der Faszien als Zusatz zum bzw. in Verbindung mit Krafttraining kann Verspannungen lösen, das Bindegewebe geschmeidig halten und Schmerzen beseitigen. Spezielle Bewegungstherapien oder auch Massagen können zusätzlich helfen, um entspannter durch den Alltag zu gehen oder schmerzfrei seinen Sport auszuführen. Nach regelmäßiger Anwendung lässt sich sogar schneller laufen, weiter und höher springen sowie grundsätzlich beweglicher werden.

Prinzipien des myofaszialen Trainings

Viele kennen das Faszientraining durch das Rollen mit einer Schaumstoffrolle. Faszien reagieren sehr gut auf Druck, das ist allgemein bekannt. Wie ein Schwamm, der ausgequetscht wird, können somit Stoffwechselendprodukte und Lymphflüssigkeit besser abtransportiert werden. Darüberhinaus können unsere Faszien jedoch auf mehrere Arten stimuliert werden. Die wichtigsten Prinzipien umfassen Folgende, welche den vier zuvor aufgezählten Grundfunktionen zugeordnet werden können.

  • Fascial Stretching: Dehnübungen über lange Ketten mit dreidimensionalen sowie gleichzeitig wippenden Bewegungen, um das myofasziale System anzuregen (vgl. hierzu auch Faszien-Yoga)
  • Rebound Elasticity: Effektives Krafttraining durch Federn, aktiv-dynamische Bewegungen und vorbereitende Gegenbewegung, welche den Katapultmechanismus bzw. Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus nutzt
  • Sensory Refinement: Bewusste Bewegungswahrnehmung und Erspüren von Spannungen im körpereigenen Gewebe durch ständige Variationen in Geschwindigkeit, Größe und Richtung der Bewegung („Propriozeption“)
  • Fascial Release: Eigenbehandlung mithilfe der Faszienrolle und/oder des TMX Trigger, um Verklebungen und Verhärtungen zu lösen, Schmerzen zu beseitigen sowie beweglicher und geschmeidiger zu werden

Neben den dargestellten Trainingsprinzipien können diese natürlich in ein vorbereitendes Mobilisierungsprogramm und natürlich in das eigentliche Kräftigungstraining integriert werden:

  • Movement Preparations (Preps): Bewegungsvorbereitende Übungen zum Training der Mobilität und Stabilität sowie dem Ausloten des maximalen Bewegungsradius in den Gelenken
  • Faszien-Krafttraining: Nutzen von Basisprinzipien wie Start der Bewegung aus Körperkern, vorbereitende Gegenbewegung, Winkelvariation und Minifederung vor Bewegungsumkehr sowie für Fortgeschrittene Nutzen der Aufbauprinzipien Tensegrale Vorspannung, Endermüdung am Schluss und Embodiment(siehe Faszien-Krafttraining bzw. Panther-Prinzip nach Robert Schleip und Berengar Buschmann)

Das fasziale Training eignet sich somit mit den verschiedenen Tools hervorragend für ein funktionelles Aufwärmen. Die Spannung der Muskulatur wird zwar gesenkt, ohne dass jedoch der Kraftoutput nachteilig beeinflusst wird.

Der Mix bzw. das Zusammenführen von Faszien- und Muskeltraining macht das Training noch effizienter, da alle an der Bewegungsausführung beteiligten Muskeln und Faszien ins Training einbezogen und nicht isoliert angesprochen werden. Diese Form des Trainings optimiert vollständige Bewegungsabläufe, welche wir im Alltag oder Sport benötigen. Durch entsprechende Übungen und Techniken gelingt es tatsächlich Funktion, Beweglichkeit und Elastizität der Muskulatur positiv zu verändern.

Beispielhafte Übungsfolgen und Techniken

Movement Preps (8-10 Wiederholungen pro Übung)

  • Hüftrollen
    Ausgangsstellung: in Rückenlage Arme flach zur Seite ausstrecken, hüftbreit parallele Beine anwinkeln und Fersen am Boden
    Ausführung: Rumpfspannung bzw. Lendenwirbelsäule Richtung Boden drücken und angewinkelte Beine abwechselnd nach links und rechts drehen, wobei gegengleiche Schulter in Kontakt mit Boden bleiben soll
  • Ausfallschritt mit Rumpfrotation
    Ausgangsstellung: Ausfallschritt nach vorne mit vorderem Knie über Fußsohle, beide Zehenspitzen zeigen nach vorne
    Ausführung: mit den Händen an der Innenseite des vorderen Beins am Boden abstützen, dann mit dem inneren beinnahen Arm aufdrehen und zur Decke strecken mit Blick über die Hand zur Decke, Seitenwechsel
  • Vierfüßler mit Oberkörperrotation
    Ausgangsstellung: Vierfüßlerstand mit einer Hand in Nacken und neutralem Rücken
    Ausführung: bei stabilem Lendenbereich mit dem Ellbogen zur Decke aufdrehen und über Ellbogen zur Decke blicken
  • Weitere Übungen: Sumohocke, Standwaage, seitlicher Ausfallschritt, Handlauf

Sensory Refinement

  • Jegliche Übungen – auch aus anderen Bereichen möglich – mit bewusstem Hineinspüren, vor allem mit Veränderung von Geschwindigkeit, Ausmaß der Bewegung und Richtung, so dass Spannungszustände und Körperempfindungen im Mittelpunkt stehen

Rebound Elasticity (max. 20 Wiederholungen pro Übung)

  • Elastische Sprünge für Waden und Achillessehne: Sanftes Auf- und Abfedern mit Nutzen des Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus
  • Power Shoulders: Fallen lassen gegen eine Wand im Abstand von knapp einem Meter und Abstoßen mit den Händen, wobei Handposition immer variiert (Rumpfstabilisation! und „Schultern weg von den Ohren“)
  • Flying Sword: Arme nach hinten über Kopf führen während sich Becken und Beine bereits nach vorne bewegen (vorbereitende Gegenbewegung), welchen die Arme mit Schwung abwärts zwischen die Beine folgen, dann in Aufwärtsrichtung
  • Fortgeschrittene und weiterführende Übungen: Plyometrische Übungen

Faszien-Krafttraining

  • Durchführen klassischer Kraftübungen mit den Basis- und Aufbauprinzipien
  • Beispiel: Butterfly
    – Start mit Rumpfstabilisation und vorbereitender Gegenbewegung
    – Übungsausführung mit Minifederungen im langen oder kurzen Bereich, je nach Faszientyp: Überbewegliche („Tänzer und Schlangenmenschen“) federn im kurzen Bereich, sprich im kontrahiert angespannten Zustand des Muskels (konzentrische Bewegung), steife Typen („Wikinger“) federn im langen Bereich, sprich im gedehnt angespannten Zustand des Muskels (exzentrische Bewegung), Cross-Over-Typen individuell abhängig von Muskel-/Faszientonus des entsprechenden Bereichs.

Fascial Release

  • Ausrollen mit den Faszienrollen und –bällen: zum Körpermittelpunkt bewusst stärker und langsamer sowie mit Winkelvariation die Muskeln und Muskel-Sehnen-Ansätze ausrollen
  • Triggern mit dem TMX Trigger: hervorragend für lokale tiefliegende Verspannungen, Trigger ansetzen, 30-60 Sekunden triggern, dann 30-60 Sekunden mobilisieren und abschließend optional Bereich dehnen (Kontraindikationen beachten, siehe TMX Trigger)

Fascial Stretching (vor allem in langen Ketten)

  • Klassisches passives oder aktives Dehnen (mind. 30 Sekunden halten), z.B. Rumpfbeuge mit Händen zu Zehenspitzen/Boden und durchgestreckten Beinen sowie Lendenbereich zur Decke schieben (Dehnen der oberflächlichen Rückenlinie)
  • Minifederungen in den endgradigen Winkeln, z.B. Ausfallschritt mit Rausschieben der Ferse des hinteren Beins nach hinten und Einsinken des Beckens (Dehnen des Hüftbeugers)
  • Übungen aus der Spiraldynamik, z.B. Seitlage mit angewinkelten oberen Bein (leichter Druck mit gegengleicher Hand gegen Knie), Öffnen/Aufdrehen des oberen Arms nach schräg hinten und Ablegen von Schulterblatt und Handrücken (Dehnen der Spirallinien)
  • Übungen aus dem Yoga wie z.B. Kobra (Dehnen der Frontallinie), Krieger (Dehnen u.a. der vorderen Armlinie)

Für ein Übungsprogramm können jeweils 2 bis 3 Übungen aus den einzelnen Bereichen übernommen werden. Falls der Schwerpunkt speziell auf einen Bereich bzw. Prinzip gelegt werden soll, dann nimmt man hieraus 4 bis 6 Übungen und ergänzt diese mit entsprechend sinnvollen aus den anderen Bereichen.

Willst du ein spezifisches Programm für dich entwickeln oder wissen, an welchen Bereichen du genau arbeiten sollst, dann kontaktiere mich gerne. Ebenso wenn du Fragen zu den einzelnen Übungen hast oder ggf. noch weitere Bewegungsfolgen kennenlernen willst.

Ich freue mich auf dich.
Bleib schmerzfrei, mobil und BEWECT 🙂

BEWECTe Grüße
Dein Benjamin

Quellen
Myers, T.: Anatomy Trains: Myofasziale Leitbahnen. Urban & Fischer. 2015.
Schleip R., Bayer J.: Faszien-Fitness. Riva. 2014.
Schleip R., Buschmann B., Bayer J.: Faszien-Krafttraining. Riva. 2016.
http://www.functional-training-magazin.de/myofasziales-training-endlich-schmerzfrei-bewegen/
https://dr-daniel-gaertner.de/