„Reiten ist kein Sport, da sitzt du ja nur auf dem Pferd.“ Viele Reiter mussten sich diesen Satz in ihrer Laufbahn bereits anhören. Vielleicht auch du, wenn du zu den Pferde- und Sportfreunden gehörst. Aber Sportler aus anderen Sportarten ändern ihre Meinung spätestens, wenn sie ihre erste Reitstunde hinter sich haben.

Reiten stellt hohe Anforderungen an die körperliche Leistungsfähigkeit – ein Fitnessstudio auf vier Beinen. Wer auf einem Pferd sitzt, trainiert nicht nur eine Vielzahl seiner Muskeln. Was hierbei noch so alles trainiert wird, welche Rolle das Pferd spielt und wie Pferd und Mensch zu einer Bewegung im Einklang gelangen können, darum soll es in diesem Beitrag gehen.

Der Reitsport – eine kurze Einführung

Bereits vor über 5.000 Jahren wurden Pferde gezähmt und als Reittiere genutzt. Nach neuesten Erkenntnissen dürfte eine genetische Veränderung dazu beigetragen haben. Die Mutation führte zu einer stabileren Rückenpartie. Vermutlich ermöglichte erst diese Genveränderung, Pferde überhaupt dauerhaft als Reittiere zu nutzen. Noch heute benötigen Pferde ein sorgfältiges Muskeltraining, damit ihnen ein Reiter keine Rückenschmerzen verursacht.

Früher als Arbeitstier bei Feldarbeit und als „Transportmittel“ genutzt – bevor es durch das Auto und Traktoren ersetzt wurde – ist das Pferd heute als Freizeit- und Sportpartner bei vielen Menschen nicht mehr wegzudenken. Ob in den klassischen Sportdisziplinen eingesetzt oder auch einfach nur als Freizeitpartner für einen Ausritt ins Gelände.

„Im Pferdesport gibt es neben den eher klassisch sportlichen Disziplinen wie etwa Vielseitigkeit-, Dressur-, Springen-, Distanz-, Westernreiten, Fahren, Voltigieren, auch den wichtigen Bereich des Therapeutischen Reitens. Hierunter fallen das Heilpädagogische Reiten und Voltigieren (Maßnahme der Heilpädagogik) sowie die Hippotherapie (Maßnahme der Physio- und Ergotherapie).“
Quelle:
https://www.in-form.de/wissen/reiten/

Anatomie Pferd und Mensch – Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Rein anatomisch von Knochen und Muskeln gesehen unterscheidet den Menschen nur Weniges vom Pferd. Aber die Funktion unterscheidet sich grundlegend. Während das Pferd auf vier Hufen und eigentlich auf „seinem Mittelfinger“ läuft, bewegt sich der Mensch aufrecht auf seinen beiden Füßen und Beinen. Aus Sicht der Biomechanik damit erhebliche Differenzen.

Wenn wir uns den Bewegungsapparat ansehen, stellen wir Folgendes fest:

  • kein Schlüsselbein beim Pferd, Schultern nur muskulär und faszial mit Rumpf verbunden
  • Unterschiede in der Kieferform, was durch Ernährung erklärt werden kann (Pferd als Pflanzenfresser, Mensch als Fleischfresser)
  • Unterschiede in Anzahl der Brustwirbel und Rippen

Wie erwähnt hat die Tatsache, dass der Mensch angefangen hat, aufrecht zu gehen, unsere Biomechanik total verändert. Die vier Beine eines Pferdes sind so konstruiert, dass die Vorderbeine mit ihrer Säulenform ausschließlich zum Tragen vorgesehen sind. Die Hinterbeine sorgen dagegen durch die Stellung der Gelenke für den Schub.


Quelle: https://www.reitverein-schwaebisch-hall.de/aktuelles/adventskalender/3-dezember-pferdewissen/

Beim Menschen wird der Rumpf durch eine Vielzahl von Muskeln stabilisiert, der Schulterblattmuskulatur fällt keine so große Bedeutung zu. Beim Vierbeiner müssen allein die zuletzt genannten Muskeln den Rumpf tragen. Der Mensch muss sich nicht dauerhaft (ab)stützen und wie das Pferd das Gewicht des Rumpfes gegen die Schwerkraft tragen, sondern lediglich die Arme „schultern“.

Bei der Bauchmuskulatur sieht es dagegen etwas anders aus. Sie ist sowohl bei Mensch wie bei Pferd wichtig zur Stabilisation der unteren Wirbelsäule. Durch den langen Rücken der Pferde und die unterschiedliche Einwirkung der Schwerkraft, ist die Rolle der Bauchmuskulatur bei den Huftieren allerdings noch bedeutender. Zudem muss das Gewicht des Reiters zusätzlich getragen werden. Die Bauchmuskulatur des Pferdes arbeitet kurz gesagt fast über 24 Stunden.

Und genau deswegen ist es immens wichtig, dass sowohl die Pferde- wie die Reitergesundheit im Vordergrund stehen sollte. Ist das Pferd nicht geradegerichtet, taktmäßig und individuell eingestellt sowie der Reiter nicht entsprechend beweglich, kraftvoll und empfindsam gegenüber dem Pferd, kommt es auf Dauer zu Verletzungen wie z.B. Gelenk- und Rückenschwierigkeiten.

Und natürlich leidet dadurch auch der Spaß für Pferd und Mensch. Jeder Reiter sollte deshalb ein Grundverständnis für die funktionelle Anatomie des Pferdes haben. Ebenso von seinem eigenen Körper, um gewisse Zusammenhänge erkennen zu können. Jedenfalls ist dies förderlich für Gesundheit von Tier und Reiter.

Schwierigkeiten im Reitsport

Noch bevor der Reiter oder die Reiterin im Sattel sitzen, geht die Vorbereitung auf die Reitstunde oder den Ausritt los. Sowohl Mensch wie Tier sollten sich in einem fitten und gesunden Zustand befinden. Die Realität sieht oftmals anders aus. Das Pferd wird viel zu wenig bewegt und trainiert, der Mensch kämpft häufig u.a. mit Stress und seinen körperlichen Leiden. Verständlich, dass hier die Chancen auf ein harmonisches Duett eher gering sind.

Deshalb gilt es sowohl für das Pferd wie auch für den Menschen ein geeignetes (Vor-)Programm zusammenzustellen, welches dem Ganzen gerecht wird und dass Pferd und Mensch gemeinsam Spaß und Freude haben. Denn dies sollte das vorrangige Ziel sein, wenn es weit abseits vom Leistungssport um Vitalität und Gesundheitssport geht. Jeder muss sich selbst die Frage stellen, wie er dies entsprechend vernünftig und individuell vollzieht.

Insbesondere für Menschen, die tatsächlich an orthopädischen, traumatologischen, internistischen oder neurologischen Krankheitsbildern leiden, ist es wichtig, dies nicht auf das Pferd zu übertragen, sondern durch das Pferd und den Reitsport eher Besserung zu erlangen. Dabei ist viel Selbstreflexion, Geduld und Einfühlungsvermögen gefragt. Wer hier eher Pferd und Mensch im Einklang statt sich in den Vordergrund stellt, wird für beide Seiten Freude und Gutes erreichen.

Lösung des Dilemmas

Wer das Bewusstsein hat, dass sich Pferd und Mensch ergänzen können, hat den ersten und größten Schritt bereits getan. Bei korrekter Herangehensweise ist Freude für beide Seiten die Folge. Egal ob wenig oder viel Erfahrung, das Konsultieren von Experten ist jederzeit gewinnbringend. Sowohl mit Tierärzten oder Pferdephysiotherapeuten in Bezug auf das Pferd wie auch mit Ärzten und Sporttherapeuten hinsichtlich der eigenen Person.

Sind beide Seiten vollständig fit und gesund, steht der Zusammenführung nichts im Wege. Bei Einschränkungen auf der einen oder anderen Seite sollten die Expertenmeinungen beachtet werden. Um z.B. einen geschmeidigen Sitz und das Pferd gut an die Hilfen zu bekommen, ist es von Anfang an entscheidend, ein Gefühl für das Zusammenspiel von Pferdebewegung und eigener Bewegung zu entwickeln. Am besten geschieht dies mit einem lockeren Bewegungsapparat. Zu schlaffe wie auch zu verkrampfte Muskeln können keine korrekte Rückmeldung geben.

Reiten bedeutet, die eigene Haltung und Bewegung auf einen anderen Körper zu übertragen bzw. von hier wieder Impulse aufzunehmen. Im eigenen Alltag bieten sich tausendfach Gelegenheiten, auf seine Haltung und Bewegung zu achten. Genau das, was man dann auch auf das Pferd übertragen möchte.

Training für Körper und Geist

Der Gesundheitssport mit dem Pferd stärkt durch die mehrdimensionalen Schwingungen des Pferderückens wichtige Muskelgruppen, z.B. den kompletten Stütz- und Bewegungsapparat mit Rücken- und Bauchmuskulatur sowie besonders der Beckenboden. Zudem verbessern sich neben der Kraft auch Ausdauer, Beweglichkeit und vor allem Koordination. Bei Letzterem werden insbesondere Gleichgewichts-, Rhythmisierungs-, Reaktions- und Antizipationsfähigkeit angesprochen.

Aber dem noch nicht genug. Hat man die ersten Reitstunden hinter sich gebracht und bereits einige Erfahrung im Sattel, kann dies auch beim Stressabbau helfen. Natürlich motiviert es, sportlich aktiv zu sein und somit eine gesunde Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu optimieren oder wiederherzustellen. Gerade Stress kann kontraproduktiv sein, da das sensible Pferd jegliche Stimmungen des Reiters fühlt. Nur im gegenseitigen Einklang wirkt sich das Zusammenspiel von Pferd und Reiter positiv auf das Wohlbefinden beider aus.

Bewegungsprogramme ohne und mit Pferd

Der Mensch bzw. Reiter kann sich mit folgenden Programmen auf das Reiten vorbereiten:

Ausdauersport: Laufen, Radfahren, Schwimmen, Wandern, Nordic Walking
Eine gewisse Grundkondition zu haben, ist eine grundsätzliche Basis für jegliche Sportart sowie um gesund und vital zu bleiben. Je nach derzeitigem Niveau kann das Ziel Folgendes sein: z.B. 20 Minuten am Stück laufen oder 1 Stunde zügig Nordic Walking.

Mobilisation und dynamisches Dehnen vor dem Reiten
Egal ob im Bürojob oder vor der sportlichen Aktivität, regelmäßige Mobilisation ist stets förderlich, um keine Dysbalancen oder Schmerzen zu entwickeln.

Im Vierfüßlerstand legst du eine Hand in den Nacken, hältst Oberkörper und Rücken stabil, Kopf in Verlängerung der Wirbelsäule und drückst dich mit dem abstützenden Arm aus der Schulter. Mit der Ausatmung drehst du dich mit dem Ellbogen um die Achse HWS/BWS und schaust über den Ellbogen nach oben. Der Lendenbereich bleibt stabil.

Kannst du Letzteres nicht sicherstellen, gehst du in den Fersensitz. Du nimmst einen Unterarm zwischen die Beine fixiert und legst den Handrücken des anderen Arms auf die Lendenwirbelsäule (LWS). Nun drehst du dich mit dem Ellbogen auf und schaust über die Schulter nach oben. 8 bis 10 Wiederholungen pro Seite.

Krafttraining: insbesondere Rumpfstabilisation (Bauch, Rücken)
Der Körperkern ist die Basis, um jegliche Bewegungen und Aktivitäten durchzuführen. „Proximale Stabilität für distale Mobilität“… dies gilt eben auch für die Wirbelsäule, da eine instabile Wirbelsäule die Beweglichkeit der distalen Gelenke negativ beeinflussen kann.

Eine klassische Bauchübung ist der Crunch (im Bild 1+2), hier Käfercrunch. Beim Crunch hat die Lendenwirbelsäule im Gegensatz zum Sit-Up jederzeit Bodenkontakt. Beim Käfercrunch bringst du abwechselnd Ellbogen und Knie diagonal zueinander. Kopf ist in Verlängerung der Wirbelsäule und in der fortgeschrittenen Version streckst du das freie Bein knapp über dem Boden aus. Für eine einfache Variante die Füße angewinkelt aufstellen.

Eine einfache und klassische Rumpfübung stellt der Unterarmstütz dar (im Bild 3+4). Hier stützt du dich auf den Unterarmen, welche schulterbreit aufgesetzt werden, und den Fußspitzen ab. Der Körper bildet eine Ebene. Den Bauchnabel ziehst du weg vom Hosenbund. Die Ellbogen sind unter der Schulter und die Schulterblätter leicht nach innen unten gezogen. In dieser Stellung solltest du mindestens 45 Sekunden verharren können. Eine einfachere Variante wäre den Hebel zu verkürzen und auf die Knie zu gehen. Schwerer wird es, wenn du wechselseitig ein Bein anhebst.

Dazu findest du sinnige Trainingstools unter Perform Better.

Faszientraining: Rollen, Triggern mit TMX Trigger, Massage
Myofasziales Training setzt bei den vier wesentlichen Aufgaben der Faszien an: Formen, Bewegen, Kommunizieren und Versorgen. Eigenbehandlung mithilfe von Faszientools oder durch eine Massage, um Verklebungen zu lösen und Schmerzen zu beseitigen.

Mit einer Faszienrolle kannst du deine Muskeln ideal bearbeitet werden. Dazu die Muskeln langsam 1 bis 2 Minuten ausrollen. Du gibst so viel Druck auf den Muskel, dass ein etwaiger Schmerz noch gut aushaltbar ist. Stellst du bei einem Punkt fest, dass es etwas mehr schmerzt, verharrst du an diesem Punkt mit intensivem Druck oder kleinen Hin- und Herbewegungen. Beachte: nur Faszien- oder Muskelgewebe bearbeiten und hinsichtlich Knochengewebe nur bis zum Ansatzbereich arbeiten. Für eine Variation kippst du z.B. den Fuß nach innen und außen, um alle Muskelbereiche zu erreichen.

Beim Triggern setzt du den Trigger (z.B. TMX Trigger) ebenso auf Faszien- oder Muskelgewebe auf, ebenso kann dies am Ansatz zum Knochen gemacht werden. Der Druck sollte auch hier aushaltbar sein, auf einer Skala von 1-10, bei der 10 immensen Schmerz darstellt, darf es eine 8 sein. Findest du schmerzhaftere Triggerpunkte, verweilst du hier länger. Das Prinzip ist ca. 1 Minute Triggern, dann in Triggerposition ungefähr 1 Minute Mobilisieren und danach optional ohne Trigger Dehnen.

Mobilisierungs- und Kraftelemente können auch sehr gut im Zuge der Vorbereitung auf das Reiten integriert werden:

  • Nutze die Arbeit rund ums Pferd und im Stall als Kräftigungsübungen wie z.B. Wassereimer mit korrekter Rumpfspannung und neutralem Rücken anheben, Kniebeuge statt bücken, auf dem Weg in die Sattelkammer Lauf-ABC-Übungen einfließen lassen.
  • Wechsel beim Putzen mal die Hand, eine wunderbare Koordinationsübung oder steig auch mal von der anderen Seite aufs Pferd auf.

Zusätzlich solltest du Folgendes beachten:

  • Sei körperlich so fit, dass du die gleiche Strecke, die du von deinem Pferd verlangst, auch selbst laufen kannst. Verlangst du 20 Minuten Trab in der Halle, so solltest du dieselbe Zeiteinheit in lockerem Tempo laufen können.
  • Mache Stabilisierungsübungen wie z.B. aus dem Pilates oder Yoga sowie jetzt im Sommer das Stand-up-Paddling (SUP).

All diese kleinen Übungen verbessern die Beweglichkeit und Koordination. Zudem stärken diese gleichzeitig die Kraft, die man fürs Reiten braucht. Wie du siehst, geht Einiges ohne zusätzlichen Zeitaufwand und macht „lästige“ Zusatzarbeiten interessant und abwechslungsreich.

Während des Reitens ist das Wichtigste die korrekte Balance aus An- und Entspannung zu finden, natürlich jederzeit situationsabhängig. Wird dies erreicht, steht Pferd und Mensch sowie der gemeinsamen Bewegung im Einklang nichts mehr im Wege.

In diesem Sinne… Bleib schmerzfrei, mobil und BEWECT 🙂

BEWECTe Grüße
Dein Benjamin…
…und Melanie von Pferdephysiotherapie Marek

Quellen
https://www.in-form.de/wissen/reiten/
https://www.mein-pferd.de/besser-reiten/sitz-und-einwirkung-reiten-heisst-bewegung-lernen/

Bilder
pixabay, Paul Huf, https://www.reitverein-schwaebisch-hall.de/aktuelles/adventskalender/3-dezember-pferdewissen/